Gesellschaftsspiel
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1978. Die zwölfjährige Katharin stellt fest, daß sie die Antworten auf ihre Fragen selbst finden muß.

In der großen Pause wurde ein "Mensch ärgere dich nicht"-Spielbrett auf den Tisch gelegt. Die Mädchen ordneten sich um das Spielbrett herum, die Jungen liefen mit einem neonfarbenen Tennisball hinunter auf den Hof.
Die künstlerisch begabte Islea beteiligte sich nicht an dem Gesellschaftsspiel. Sie blieb an ihrem Platz und baute eine Skulptur aus Pappkärtchen in verschiedenen Rottönen. Mitten im Spiel blickte eines der Mädchen auf, Blanca. Sie schaute zu Isleas Kartenhaus hinüber.
"Habt ihr gesehen, was Islea macht?" fragte Blanca die anderen. "Das sieht voll irre aus!"
Alles beugte sich, um in Isleas Karten zu schauen.
"Schon echt - geil", kamen anerkennende Worte.
"Wie das gemacht ist ..."
"Sie macht immer solche Sachen."
Katharin malte zu Hause nur Skelette, Gespenster, Grabsteine und Särge. Sie bemalte aus Langeweile auch ihre Schulhefte damit. Sie hielt das nicht für besonders kreativ. Beeindruckt sagte sie über Isleas Konstruktion:
"Das ist wirklich schön."
"Halt' du bloß deinen Mund", unterbrach Blancas Freundin Jana die Reihe von bewundernden Äußerungen.
Während die anderen weiter Isleas Kunstwerk betrachteten, wandte Katharin sich an Jana:
"Warum hast du eben gesagt, ich soll meinen Mund halten?"
Jana schaute in die Ferne.
"Jana?"
Jana begann, sich mit Blanca zu unterhalten.
"Jana?" sagte Katharin etwas lauter.
Unwillig drehte Jana den Kopf.
"Was ist denn jetzt schon wieder?" fragte sie.
"Ich möchte von dir wissen, weshalb du zu mir gesagt hast, ich soll meinen Mund halten", verlangte Katharin.
"Ou, Mann", stöhnte Jana, "weil du einem voll auf die Nerven gehen kannst."
"Was habe ich denn gemacht, daß ich dir auf die Nerven gehe?"
"Allein, wie du jetzt 'rüberkommst, das reicht schon."
"Wie komme ich denn deiner Ansicht nach 'rüber?"
"Also - ich hab' echt keine Lust, mich über sowas auszulassen."
"Ich möchte das aber wissen, Jana."
"Ey, du merkst wohl gar nichts mehr, wie?" kicherte Jana.
Blanca kicherte mit.
"Ich möchte wissen, warum ihr kichert", sagte Katharin.
Jana und Blanca guckten sich mit vielsagenden Blicken an.
"Was haben eure Blicke zu bedeuten?" fragte Katharin.
"Jetzt hör' endlich auf zu nerven", erwiderte Jana.
"Wenn du mich angreifst, möchte ich wissen, warum", entgegnete Katharin.
"Erstens greife ich dich nicht an", meinte Jana, "und zweitens solltest du dich mal angucken, wie du dich verhältst, ob du nicht auch findest, daß das irgendwo peinlich wirkt."
"Nein, das finde ich nicht."
"Kann man nichts machen, bist du halt zu blöd zu, um das zu verstehen."
"Um was zu verstehen?"
"Ey - die hat voll die Peilung nicht", sagte Jana lachend zu Blanca und ging mit ihr weg. "Die ist nur noch verpeilt."
Katharin holte ihre Sachen und ging nach Hause.
"Jetzt macht sie auf beleidigt", wisperte Blanca, die neben Jana vor der Tür stand. "Gut, daß ich so bescheuert bin, daß ich für meine Blödheit nichts kann."
"Für eure Blödheit?" fragte Katharin.
"Ou, Mensch, jetzt halt' endlich den Rand!" schrie Jana.
"Die ist voll unmöglich, die Frau", seufzte Blanca.



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